Wer darf sprechen?

Andacht zur Pfingsten
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Mirko Peisert

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Für Paulus war das scheinbar klar. „Die Frau schweige in der Gemeinde,“ schreibt er an die Gemeinde in Korinth. Ein Satz mit weitreichenden Folgen und einer fatalen Wirkungsgeschichte. Jahrhundertelang mussten Frauen um ihr Recht kämpfen, in Parlamenten oder Kirchengemeinden zu sprechen.

Die Frage nach dem Sprechendürfen ist eine Frage nach Macht, nach Einfluss und nach Status. Die öffentliche Rede besitzt eine große Symbolkraft. Als Angela Merkel 2008 als erste ausländische Regierungschefin vor dem israelischen Parlament sprechen durfte, war das nicht nur eine besondere Ehre, sondern auch ein starkes und folgenreiches Zeichen.

Das Recht auf freie Rede ist darüber hinaus ein Lebensnerv der Demokratie. Nur wenn Positionen, Argumente und Visionen frei geäußert und diskutiert werden können, kann die Suche nach Wahrheit und die Verständigung über gemeinsame Ziele gelingen.

Zugleich sind Regeln notwendig – auch für das Reden. Denn niemand soll verletzt oder beleidigt werden.

Während der Europameisterschaft 2024 hat die UEFA erstmals beschlossen, dass nur noch der Kapitän mit dem Schiedsrichter sprechen darf, um unter anderem unnötige Diskussionen im Keim zu ersticken. Der Praxistest hat die Verantwortlichen so überzeugt, dass die Regel in Europa für alle Wettbewerbe übernommen wurde. Seit Kurzem auch für den Amateurfußball in Deutschland.

Auch wer in der evangelischen Kirche im Gottesdienst sprechen darf, ist bis heute streng geregelt. Ausbildung und Studium, Ordination, Berufung und Beauftragung sind seit Martin Luther Voraussetzung für das öffentliche Verkündigen. Er machte die öffentliche Ansprache sogar zum Markenkern der pastoralen Rolle.

Hoch aktuell war das Thema zuletzt in den Sitzungen der Landessynode. Noch im vergangenen Jahr wurde den Betroffenen sexualisierter Gewalt das Sprechen im Plenum des Kirchenparlaments verweigert. In ihrer diesjährigen Frühjahrstagung hat die Synode dann das Rederecht mit Wirkung ab der kommenden Herbstsynode beschlossen.

Wer hat Rederecht?

Das muss in den unterschiedlichen Kontexten offensichtlich immer wieder neu verhandelt und überprüft werden.

Pfingsten erscheint in diesem Zusammenhang als eine einzigartige sprachliche Entgrenzung. Nicht nur, dass alle durcheinander sprechen und trotzdem verstanden werden. Zudem scheinen alle Unterschiede und Regeln aufgehoben.

Für den Jünger Petrus wird zu Pfingsten etwas real und erlebbar, was der Prophet Joel schon vorausgesehen und von Gott gehört hatte: „Ich werde meinen Geist über alle Menschen ausgießen. Eure Söhne und Töchter werden als Prophetinnen reden.“

Pfingsten bricht eine neue Zukunft an. Alle sprechen als Söhne und Töchter begeistert von Gottes Geistkraft. Keine Sprechverbote. Rederecht für alle.

Im weiteren Verlauf allerding kommt dann doch wieder nur ein Mann, nämlich Petrus, zu Wort. Er darf das Geschehene für alle deuten und er allein kann für alle sprechen.

Kirche bleibt im Widerspruch zwischen menschlichen Regelungsbedürfnissen und der Beweglichkeit der Geistkraft Gottes.

Pfingsten erinnert uns an die Weite unseres Gottes.

Fordert uns heraus, unsere Antworten niemals für endgültig zu halten.

Frohe Pfingsten!

Mirko Peisert